
Berlin, 28. Mai 1988 – Die Spannung im Olympiastadion knisterte wie elektrisierte Luft. Im DFB-Pokal-Finale zwischen Eintracht Frankfurt und dem VfL Bochum stand es tief in der zweiten Halbzeit immer noch 0:0. 76.900 Fans beugten sich gespannt nach vorne. In der 81. Minute bot sich die Gelegenheit: Ein Freistoß direkt vor dem Bochumer Strafraum. Als der ungarische Mittelfeldspieler Lajos Détári zum Ball schritt, drehte sich sein Mitspieler Frank Schulz um und sagte mit prophetischer Gewissheit: „Wir gehen gleich zum Anstoß zurück – der geht sicher rein.“ Sekunden später schlenzte Détári den Ball mit dem rechten Fuß über die Mauer – direkt ins Netz. Ekstase brach aus. Mit diesem einzigen Moment der Genialität sicherte sich Eintracht Frankfurt den vierten DFB-Pokal-Titel der Vereinsgeschichte.
Das Tor, das Geschichte schrieb
Détáris Treffer war mehr als nur ein Siegtreffer – er war ein Kunstwerk unter höchstem Druck.
Technische Perfektion: Der Ball segelte haarscharf über die Mauer und senkte sich mit brutaler Präzision, sodass der Torhüter keine Chance hatte. Frank Schulz’ sofortige Reaktion spiegelte die Unausweichlichkeit dieses Traumschusses wider.
Der Mann selbst: Jahre später blickte Détári bescheiden zurück: „Ich habe viele Freistöße in meiner Karriere geschossen… Ich glaube nicht, dass es mein schönstes Tor war, aber wahrscheinlich das wichtigste.“
Ein bleibendes Vermächtnis: Dieses Tor machte den eleganten Ungarn, wegen seiner Spielweise auch „der blonde Platini“ genannt, zur Legende in Frankfurt. Es krönte eine Saison, in der er mit 14 Treffern in allen Wettbewerben der beste Torschütze der Eintracht war.
Eine Saison der Gegensätze, eine Nacht des Triumphs
Die Saison 1987/88 war für Eintracht eine Geschichte zweier Gesichter. Unter Trainer Karl-Heinz Feldkamp verlief die Bundesliga enttäuschend – Platz 9, begleitet von schwankenden Leistungen und Zuschauerzahlen, die teils auf 9.000 sanken. Doch der Pokal wurde zum magischen Zufluchtsort. Détári war in allen sechs Pokalspielen bis zum Finale dabei.
Das Endspiel selbst war zäh und umkämpft. Bochum stand kompakt, ließ kaum Chancen zu und stellte Spieler wie den jungen Andreas Möller und Abwehrchef Karl-Heinz Körbel vor Herausforderungen. Über 80 Minuten blieben klare Chancen Mangelware. Détáris Geistesblitz war mehr als nur ein Tor – er war die Entladung aufgestauter Spannung und ließ die Anhänger der Adler in pure Freude ausbrechen.
Der Architekt: Lajos Détári – Frankfurts kurzer, glanzvoller Stern
Détáris Wechsel nach Frankfurt ein Jahr zuvor war ein Coup: Für 1,8 Millionen Euro (3,6 Millionen D-Mark) kam er von Budapest Honvéd und erinnerte in seiner Spielweise an Klublegende Jürgen Grabowski. Schnell wurde er zum Liebling der Fans. Seine Bilanz in der Bundesliga: 11 Tore in 33 Spielen – pure Klasse. Doch seine Frankfurter Zeit war wie eine Sternschnuppe.
Von Budapest nach Berlin: Ausgebildet in der Jugend von Honvéd, war Détári bereits ungarischer Nationalspieler und WM-Teilnehmer von 1986, bevor er in die Bundesliga kam. Sein Talent, geschliffen auf Asphaltplätzen Budapests, passte perfekt zum deutschen Fußball.
Ein komplexer Charakter: Bekannt für seine maulige Art (Spitzname: „Döme“) und seine schillernde Persönlichkeit, war Détári ein Garant für Schlagzeilen. Die Fans liebten ihn, doch seine Lebensfreude abseits des Platzes deutete bereits spätere Turbulenzen an.
Nachklang: Ruhm, Abschied und bleibender Nachhall
Die Siegesparade in Frankfurt war ein Rausch. Die Bilder von Kapitän Karl-Heinz Körbel und Détári mit dem Pokal wurden ikonisch – Sinnbild eines hart erkämpften Erfolgs. Der Pokalsieg brachte der Eintracht die Teilnahme am Europapokal der Pokalsieger – ein verdienter Lohn für den magischen Cup-Run.
Für Détári war es jedoch auch der Schlusspunkt. Nur wenige Wochen nach dem Berliner Triumph wurde er völlig überraschend für 8,7 Millionen Euro an Olympiakos Piräus verkauft – ein Rekordtransfer, der die Eintracht mit einem enormen Gewinn zurückließ. Doch zugleich entstand eine Lücke – und die Frage: Was wäre gewesen, wenn Frankfurts „blonder Platini“ geblieben wäre?
Seine spätere Karriere war zwar statistisch erfolgreich (46 Tore in 81 Spielen für Olympiakos), doch sie war auch geprägt von Chaos im Verein (Skandal um Eigentümer Giorgos Koskotas), Trainerstreitigkeiten und verpasstem ganz großen Durchbruch. Doch die Verbindung zu Frankfurt blieb. Beim DFB-Pokalspiel 2014 gegen Gladbach wurde er eingeladen – und erhielt stehende Ovationen. Ein Beweis dafür, dass jener magische Berliner Moment nie vergessen wurde.
Eintracht Frankfurt 1987/88 – DFB-Pokalsieger
Warum der 28. Mai 1988 unvergessen bleibt
37 Jahre später bleibt Détáris Freistoß ein Schlüsselmoment in der Geschichte von Eintracht Frankfurt. Er steht für:
1. Die Macht individueller Brillanz: Ein enges Finale wurde durch einen einzigen magischen Moment entschieden.
2. Der Zauber des Pokals: Der DFB-Pokal bewies erneut, dass er Helden schaffen und schwache Ligasaisons vergessen machen kann.
3. Eine flüchtige Legende: Détáris glanzvolle, aber kurze Zeit bei der Eintracht verkörpert die Freude sportlicher Genialität – und das ewige Was wäre, wenn…?
Heute lebt Détári zurückgezogen in Budapest – doch die Liebe zur Eintracht ist geblieben. Jene Berliner Nacht, das Tor seines Lebens, und die Verbindung zu den Fans sind ungebrochen. „Es war wahrscheinlich mein wichtigstes“, sagte er. Für Eintracht Frankfurt ist es schlichtweg: ewig.
Noch heute klingt das Echo dieses Schusses, der das Netz im Olympiastadion von Berlin zappeln ließ, nach – so klar und kraftvoll wie damals.
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